Nachdenken über Präsenz 1, DER KÖRPER
Wenn ich als Trainer und Coach einen Blick auf meine Tätigkeitsbereiche werfer - Stimme, professionelle Sprechtechnik, persönlicher Auftritt, Präsenz - wird mir bewusst, wie stark sich diese vier Bereiche präsentgegenseitig beeinflussen. Menschliche Kommunikation ist eine vernetzte Angelegenheit.
Stimmliche Präsenz hat Einfluss darauf, wie ein Menschen wirkt, auf dessen Präsenz. Ebenso eine klare, deutliche Sprechtechnik, die wiederum auch die Wirkung seiner Stimme beeinflusst. Ökonomisches, und damit deutliches Sprechen meint auch klingende Vokale. Schon befinden wir uns auf stimmtechnischer Ebene. Meine Lehrerin pflegte immer zu sagen: „Herr Lackner, es gibt kein schönes Sprechen, es gibt nur ökonomisches Sprechen, dann klingt’s automatisch schön.“ Dem ist nichts hinzuzufügen. Wenn wir von Vokalen sprechen, die Raum haben, bewegen wir uns sofort auch auf emotionaler Ebene. Je mehr Raum wir den Vokale geben, desto mehr Platz findet emotionaler Ausdruck in unserem Sprechen. All das wirkt sich wiederum aus auf die Qualität des persönlichen Auftritts eines Menschen aus, auf den Auftritt einer Persönlichkeit.
Was bedeutet Präsenz eigentlich?
Die Anwesenheit eines Menschen. Nicht nur körperlich. Auch mental. Das bedeutet, wenn ich mit jemandem spreche, oder auch vor Publikum spreche, bin ich eingeladen, mir folgende Frage zu stellen. Bin ich nur körperlich anwesend, oder nehme ich mein Gegenüber, auch mein Publikum, auch mental und emotional wahr. Präsenz findet auf mehreren Ebenen statt. Ich möchte mich zunächst mit der körperlichen Präsenz auseinandersetzen.
Rein visuell bedeutet Präsenz, auf organische Art und Weise soviel Raum wie möglich einzunehmen. Löwen sind präsent, Giraffen, Elefanten. Alles, was Raum einnimmt. Manchmal wird in Seminaren meine Frage, welche Tiere in der Natur präsent, seien, mit „Erdhörnchen“ beantwortet. Und auch das ist richtig. Wann nehmen wir ein Erdhörnchen war? Ausser wir sind Biologen und studieren Erdhörnchen professionell. Wenn es sich aufrichtet und lauscht. Es ist körperlich präsent, nimmt Raum ein und hat eine Körperspannung, die es dem Erdhörnchen ermöglicht, jederzeit zu reagieren.
Im Stress berauben wir uns unserer Präsenz. Stress bedeutet, unser autonomes Nervensystem schaltet in den Modus Kampf oder Flucht. In schwerwiegenden Situationen, in denen wir unser Leben bedroht sehen, und Kampf und Flucht nicht mehr helfen, frieren wir ein. Wir sprechen von Freeze. Kampf oder Flucht bedeutet, wir machen uns kleiner, auf allen Ebenen: auf körperlicher Ebene, auf der Ebene des Atemraumes, auf stimmlicher Ebene oder Ebene der Resonanz. Unser Gesichtskreis schränkt sich ein. Wir beschränken uns auf den sogenannten Tunnelblick oder, noch schlimmer, Augen zu und durch! Wir sind entweder auf den Fluchtweg, oder die Quelle der Gefahr reduziert, und fassen keinen klaren Gedanken mehr. Und selbst der Sprache geben wir weniger Raum, indem wir schneller sprechen, um die Präsentation hinter uns bringen zu wollen. In der Zeit geben wir den Worten weniger Raum.
„Am Anfang war der Körper.“
Aus diesem Grund ist es wichtig, dem Körper in stressigen Situationen das Gegenteil von Verkleinerung oder Verengung anzubieten. Nämlich Raum und Weite.
Auf muskulärer Ebene suchen wir Lockerheit, Weite und Raum. Wir wollen, dass unsere Muskulatur gut durchblutet ist, und fleibel arbeiten kann. Dehnungsübungen,
Lockerungsübungen und Entspannungstechniken aller Art schaffen die besten Vorraussetzungen dafür, wieder präsent zu sein, Raum einzunehmen und flexibel auf die jeweilige Situation zu reagieren. Wie das Erdhörnchen.
Und dann ist da noch die Aufrichtung. Oder die Ausrichtung. Beide Begriffe beschreiben einen Prozess. Ich richte mich auf. Ich richte mich aus. Ein Prozess beinhaltet immer Flexibilität und Lebendigkeit. Den Begriff Haltung beschreibt für mich einen Zustand. Oder zumindest das Ringen um einen Zustand. In diesem Begriff steckt für mich so etwas wie (fest)gehalten sein. Ich bin aber überzeugt, eine lebendige Persönlichkeit lebt in einem lebendigen Körper. Damit meine ich einen Körper, der agiert und reagiert, der sich von Moment zu Moment adäquat gegenüber der Situation und der Herausforderung verhält.
Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir wieder lernen, Raum einzunehmen. Uns jenen Raum zu nehmen, der uns als Menschen zusteht. Leider verlernen das viele von uns im Laufe unseres Lebens. Den Pädagoginnen und Pädagogen gegenüber sage ich immer sehr provokant: „Erinnert Euch an die Situationen, in denen Euer Lehrer oder Lehrerin die Klasse betreten und überraschend eine Vokabelprüfung angekündigt hat. Was ist da passiert?“
Die meisten von uns haben sich buchstäblich verkrochen, sind zusammengesunken, haben sich kleiner gemacht und den Blick gesenkt. Dieses Muster lernen wir viele Jahre während unserer Schulzeit. Doch plötzlich verlangen das Leben, unser Beruf, unsere Vorgesetzten, dass wir Präsenz zeigen. Doch Muster und Gewohnheiten lassen sich nicht so leicht ablegen.
Was tun? „Readiness is all!“, würde Hamlet antworten
Es hilft uns vor Präsentationen oder Situationen, die unsere ganze Präsenz erfordert, uns körperlich vorzubereiten. Das bedeutet, uns zu lockern, zu dehnen und unser Körperbewusstsein .aufzuwecken.
Und danach, dem körperlichen Bestreben des sich kleiner Machen entgegenzuwirken. Sich bewusst aufzurichten oder auszurichten. Wie ein Baum, der biegsam ist, aber der Sonne entgegen wächst. Für mich ist die Palme das beste Beispiel. Sie wächst dem karibischen Himmel entgegen, ist aber so biegsam und flexibel, dass sie den Stürmen der Tropen widersteht.
„Wie komme ich zu den Wiener Philharmoniker“, fragt der Tourist am Wiener Hauptbahnhof einen Eingeborenen. Und der Wiener antwortet: „Üben, üben, üben“.
So ist es auch mit der Präsenz. Übern Sie, Raum einzunehmen. An roten Ampeln, Supermarktkassen und Bushaltestelle. Immer wieder. Nach nicht all zu langer Zeit stehen sie da, ausgerichtet und präsent. Ohne Anspannungen. Dann wird alles möglich.
Und nicht zuletzt aus der Psychologie weiß man, die eigene Aufrichtung hat Auswirkungen auf die Weltsicht und die Psyche eines Menschen. Mit dem Goldenen Faden, an dem Ihr Scheitel - von Ihrem Scheitel der Schädel, aus dem Schädel die Wirbelsäule und der Schultergürtel und das Becken, und aus dem Becken die Oberschenkel und aus den Oberschenkeln die Unterschenkel und aus den Unterschenkeln die Füsse hängen - können Sie sich buchstäblich aus dem eigenen Sumpf herausziehen. Wie Münchhausen.
Wie würde der irische Regisseur Declan Donollan sagen „Not true, but useful“. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spass mit Ihrer wiedergefunden Präsenz.